Alles ist da. Schon die ganze Zeit.

Die Kinder sind mit Oma beim Kinderturnen. Zeit für mich. Jetzt aber schnell. Laufsachen an und los. Ich schleppe mich heute nur so dahin. Meine Beine tun weh und warum geht diese blöde Straße eigentlich immer nur bergauf? Nichts geht mehr. Ich bleibe stehen. Mein Puls bei 180. Ich wollte meinem Körper etwas Gutes tun und meinem Kopf eine Auszeit gönnen. Einfach Laufen. Normalerweise liebe ich das. Heute nicht. Ich atme kurz durch und schaue auf meine Sportuhr. Mist, ich muss weiterlaufen, ich will doch meine Zeiten halten. Auch der zweite Versuch, heldenhaft den Feldweg entlang zu schweben misslingt. Ich halte wieder an. Mein Atem ist schwer und ich bin frustriert. Und da ist sie wieder, die Stimme in meinem Kopf, die sich gelegentlich und Gott sei Dank, einschaltet. „Schwere Zeiten gehören auch dazu. Da zählt dann nicht mehr die Geschwindigkeit, sondern jeder Schritt nach vorn.“ So ein Mist, mein treuer Begleiter hatte wohl schon wieder mehr verstanden als ich. Mir ist es doch ehrlicherweise am liebsten, wenn nur meine glänzenden Seiten zu sehen sind. Aber das ist nicht die Realität. Es gehört dazu und ich bin scheinbar dadurch nicht weniger liebenswert. Aber glauben kann ich das wohl noch nicht ganz…
Ich pausiere die Musik in meinen Kopfhörern und nehme sie aus den Ohren. Haben die Grillen schon die ganze Zeit ihr Konzert vorgetragen? Bläst der Wind die ganze Zeit schon so friedvoll um meine Ohren? Die Blumen dort am Feldweg sind doch aber neu, oder? „Alles ist da, schon die ganze Zeit. Du warst nur zu getrieben um es zu sehen.“, schaltet sich mein treuer Freund wieder ein. Ich pflücke einige der blauen Feldblumen und lasse meine Fingerspitzen über alles gleiten wo ich vorbeikomme. Wie schön alles ist, wenn ich bewusst wahrnehme. Wie ein kleines Mädchen laufe ich in mich hineinlächelnd und mit einem Blumenstrauß aus Feldblumen den Weg entlang. Ich hatte mal wieder eine Lektion gelernt. Oder vielleicht sogar zwei. Ein Gebet formt sich in mir. „Bitte erinnere mich, wenn ich das alles wieder vergessen habe. Ich brauche das.“ Mein treuer Begleiter lächelt. Ich weiß: Er meint es gut mit mir.

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