Vom Ich zum Wir

2-Jährige beginnen ihren Blick zu weiten und erleben sich langsam aber zunehmend als Teil einer Gemeinschaft. Gute Eltern begleiten sie auf diesem Weg und geben Halt und Unterstützung, um zu lernen in einer Gemeinschaft zurechtzukommen, Regeln anzunehmen, sich in die Lage des Anderen zu versetzen und empathisch zu sein. All das braucht authentische, geduldige Vorbilder- Erwachsene also, die in enger Bindung zum Kind stehen und ihm helfen, seine angeborene Egozentrik nach und nach abzulegen. Das ideale Übungsfeld dafür findet sich im Schutzraum der Familie bei präsenten, zugewandten Eltern oder auch in Mutter-Kind-Gruppen.

Eine wichtige Voraussetzung um Sozialverhalten zu lernen, ist es, dass rechte und linke Gehirnhälfte miteinander arbeiten. Nur dann kann ein Kind gegensätzliche Gedanken und Empfindungen zugleich wahrnehmen und integrieren. Es kann sich zum Beispiel aufrichtig entschuldigen, weil es die Traurigkeit des anderen spürt. Es kann sich beherrschen (ohne zu wüten und zu schlagen), weil es die schmerzlichen Konsequenzen abschätzen kann. Es kann sich aufraffen und seine Aufgaben erledigen- auch wenn es keine Lust dazu hat.

Eltern unterstützen die Hirnreife von Anfang an indem sie im liebevollen Kontakt mit ihrem Kind stehen. Denn Fürsorglichkeit und Sicherheit lassen die neuronalen Synapsen sprießen.

Ich-Du Fähigkeiten werden in diesem Alter nicht aus flüchtigen Kontakten mit Gleichaltrigen in Gruppen, sondern aus der verlässlichen Eltern-Kind-Beziehung heraus erworben.

Johannes Pechstein

In diesem Alter bauen die Kinder noch keine richtigen Beziehungen zueinander auf, sie spielen noch nicht zusammen, sondern jedes für sich. Im besten Falle verläuft das friedlich: Psychologen nennen es nebeneinanderher spielen. Im schlimmsten Falle sind sie Feinde, die um ein Spielzeug streiten, Dinge nacheinander werfen oder sich hauen.                                         

Steve Biddulph

Während es in dieser Phase dabei ist, sich in seiner Identität und Wirksamkeit selbst zu erfahren und zu erproben, um sich dann wieder abzusichern, ist das Kind noch ganz auf seine eigenen Wünsche und Vorstellungen fixiert. Daher sind Begegnungen mit Gleichaltrigen tendenziell konflikthaft.

Gisela Geist

Ab zwei Jahren spielen die Kinder parallel nebeneinander und gucken nur, was der andere macht. Erst wenn die ausschließliche Ichbezogenheit zurückgeht (nach dem 3. Geburtstag), werden andere Kinder als Spielkameraden wichtig.

Das Interesse, das schon Säuglinge an anderen Kindern zeigen, widerspricht dem nicht, denn in dieser Zeit sind die anderen Kinder interessante Objekte wie bewegliches Spielzeug, die nicht in Bezug auf sich selbst gesehen werden.

Dr. Erika Butzmann

Die ersten 3 bis 4 Lebensjahre bezeichnen wir als "Phase der primären Sozialisation und Individuation". In ihr ist das Kind auf die Nähe zur Hauptbezugsperson existenziell angewiesen. Der enge, stabile Bezug zur Mutter ist für die altergerechte emotionale und soziale Grundausstattung des Menschen offenbar unabdingbar. In der zweiten Phase, in der "Phase der sekundären Sozialisation und Personalisation" vom 4. Lebensjahr ab, erfolgt eine Ausweitung des sozialen Lernens auf Gleichaltrige und Gruppen von Kindern, bei der zunehmend die sprachlich-intellektuellen Erziehungsanforderungen gegenüber den emotionalen Anforderungen hervortreten.

Johannes Pechstein

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