Wir werden mit Billionen von Hirnzellen geboren, die sich weder vermehren noch bei eventueller Zerstörung nachwachsen. Was aber in den ersten 4 Lebensjahren wächst und reift, sind zum einen die Umhüllungen der Nervenbahnen und zum anderen die Verknüpfungen (das Netzwerk zwischen den Nervenzellen). Je mehr Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen in einer Welt voll liebender Geborgenheit vorhanden sind, je mehr das Kind liebevoll angesprochen und bewegt wird, desto reichhaltiger entwickelt sich das Nervengeflecht.

Das Gehirn eines Babys wird quasi im Zusammenspiel von der Bezugsperson und dem Baby gemeinsam aufgebaut, nicht indem man das Baby versucht zu erziehen. Es scheint, dass Babys am besten gedeihen, wenn sie in den ersten drei Jahren reichlich Zuwendung und Aufmerksamkeit bekommen. Wenn man in diese Zeit investiert, macht dies das ganze Leben für das Kind leichter.

Steve Biddulph

Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist sein Hirn ziemlich klein, viel kleiner als nur wenige Jahre später- was bedeutet, dass viele der Funktionen und Prozesse, die wir für selbstverständlich halten, anfangs einfach noch nicht da sind. Dafür gibt es einen guten Grund: Wenn Babys mit allem, was in ihrem Kopf ist, fix und fertig auf die Welt kämen, würde ihr Kopf riesig und eine normale Geburt unmöglich sein. Deshalb kommen wir als halbwegs unbeschriebene Blätter auf die Welt.

Das Verhältnis zwischen den zu entwickelnden und den fertigen Strukturen liegt bei ca. 70 zu 30, also 70% machen die Entwicklungsanteile aus. Das schnelle Hirnwachstum in den ersten Lebensjahren führt dazu, dass einvierjähriges Kind 90% seiner neuronalen Strukturen entwickelt hat.

Melanie Gill

Das in der Öffentlichkeit verbreitete Mantra ist falsch, alle Probleme der Krippenbetreuung ließen sich alleine mit Qualität lösen.

In den vergangenen Jahren ist in einer Fülle von Publikationen dargelegt worden, dass und wie chronische Stressbelastungen die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigt, speziell die Zentren für die Stressregulation und die sozioemotionale Kompetenz.

Nun zählen die beiden ersten Lebensjahre zu den besonders heiklen Phasen der Entwicklung des Gehirns. In dieser sensiblen Periode gräbt sich chronischer Stress sogar in die Gene ein und führt auf dem Weg sogenannter epigenetischer Mechanismen zu dauerhaften Regulationsstörungen, die sogar an die folgenden Generationen vererbt werden können.

Neben psychischen Störungen geht mit chronischem Stress auch ein erhöhtes Risiko für körperliche Krankheiten wie HerzKreislauf-Erkrankungen und Fettsucht einher, ja sogar für Krebs.

Dr. med. Rainer Böhm

Ob aber Tiere und Menschen das artspezifische und individuelle Optimum ihrer intellektuellen Möglichkeiten erreichen können, ja, ob die Möglichkeit zur Entfaltung von Hirnvorgängen überhaupt gelingt, hängt weitestgehend von jenen primären Vorgängen ab, die in der Säuglingszeit stattfinden.

Christa Meves

Die verwahrlosten der vielen geretteten Waisen aus Rumänien wurden sorgfältig mit dem Magnetresonanzverfahren untersucht, und die Ergebnisse waren schockierend- sie hatten regelrechte schwarze Löcher im Gehirn, wo sich ganze Hirnbereiche nicht entwickeln konnten.

Dieses Wissen bürdet uns als Eltern und als Gesellschaft eine ehrfurchtgebietende Verantwortung auf. Wenn Eltern oder Betreuer sich nicht kümmern oder nicht reagieren, nicht trösten und beruhigen, hemmen die stetige Angst, das stetige Alleinsein tatsächlich das Wachstum des Babys- und zwar das geistige wie das körperliche.

Steve Biddulph

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