Voraussetzungen für Bildungsfähigkeit

Die grundlegenden sozialen, aber auch geistigen Fähigkeiten der Kinder, die dann in einem hochdifferenzierten Schulwesen weiterentwickelt werden sollen, stammen primär aus der elterlichen Nähe, aus der nur durch Nähe und Verfügbarkeit entstehenden Erfahrung von Bindung und Zuverlässigkeit.

Johannes Pechstein

Die Fakten der Bindungs- und Gehirnforschung zeigen, dass im Alter bis zu 4 Jahren eine gesunde Entwicklung der Bindung als Voraussetzung für Bildung oberste Priorität haben muss. Ohne Bindung keine Bildung.

Nur wenn ein Kind sich in seiner Umgebung sicher und geborgen fühlt und seinen individuellen Bedürfnissen nach lustbetontem Spielen und Erforschen nachkommen kann, wird es erfolgreiche Lernerfahrungen machen und einen Eigenantrieb zum Entdecken, Kombinieren und Nachdenken entwickeln. Dazu braucht es eine sensibilisierte, interessierte und vertrauensvolle Bezugsperson, die die richtigen Materialien zur Verfügung stellt, hilfreiche, attraktive Reize verschafft und Gefahren beseitigt, damit sich das Kind weitestgehend frei und eigeninitiativ beschäftigen kann.

Prof. Dr. Gordon Neufeld nennt diese Kompetenz "Emergenz". Sie befähigt ein Kind, als eigenständige Persönlichkeit handlungsfähig zu werden, Selbstwirksamkeit und Eigenständigkeit zu entwickeln. Solche Kinder denken mit, sie stellen Fragen, sind neugierig und offen für Neues.

Der Bildungsweg lässt sich nicht abkürzen. Nur wenn ein Kind ausreichend sicher gebunden aufwächst, wird es auch sein Bildungspotential entfalten - und zwar weitestgehend eigeninitiativ und freiwillig.

Sie werden sich schon von ganz alleine entwickeln, wenn man ihnen den „Luxus“ lässt, es ganz nach ihrer eigenen Art zu tun, mit der ihnen eigenen Geschwindigkeit und nach ihrem eigenen Entscheidungsvermögen.

Jesper Juul

Je fester die Bindung des Kindes zur Bezugsperson ist, desto stärker fällt sein Wille zum Forschen und Experimentieren aus.

Andreas Engel

Reif durch Bindung

Es gibt noch 2 weitere Kompetenzen, die Kinder nur auf Basis einer sicheren Bindung ausbilden und die sie für erfolgreiches Lernen brauchen:

Die Adaption
Der Adaptionsprozess befähigt ein Kind, sich an die Umstände seines Lebens anzupassen, etwas anders zu probieren und Widrigkeiten zu überwinden. Voraussetzung dafür ist, dass die Bindungsperson dem Kind durchaus Erfahrungen von Frust und Enttäuschung zumutet, diese aber empathisch begleitet. Das Kind erlebt daraufhin, dass es an Umständen, die es selbst nicht ändern kann, wachsen und sich neu orientieren wird.

Woran erkennt man adaptive Kinder?
Sie lernen aus Fehlern und Misserfolgen, sie profitieren von Korrekturen. Sie sind erfinderisch und wachsen an Hindernissen und Rückschlägen. Sie akzeptieren Grenzen und Einschränkungen. Sie begegnen Stress zuversichtlich. Sie erholen sich von Verlust und Traumata. Sie lassen vergebliche Hoffnungen los und akzeptieren, wenn sie ihren Willen nicht kriegen. Bei Frustrationen brechen sie nicht (mehr) in Aggressionen aus.

Die Integration
Sie hilft einem Kind, zu einem sozialen Wesen heranzuwachsen- mit der Fähigkeit, sich in Beziehungen einzubringen ohne seine persönliche Integrität und Identität dabei zu verlieren oder verleugnen zu müssen. Voraussetzung für die Fähigkeit zur Integration ist das gelungene Zusammenspiel von rechter und linker Gehirnhälfte, das allein an die natürliche Hirnreife gekoppelt ist und schließlich das parallele Erleben zweier Gefühle oder Gedanken ermöglicht: aus Angst UND Neugier wird dann Mut, aus Wut UND Mitgefühl wird dann Selbstbeherrschung (diese Mischung ist auch Voraussetzung für eine ehrliche Entschuldigung), aus Unlust UND Ehrgeiz wird Disziplin, aus Sorge für sich selbst UND andere wird Rücksicht, aus dem Wunsch nach Rache UND der Fähigkeit zur Anteilnahme wird Verzicht.

Woran erkennt man integrative Kinder?
Sie sind ausgeglichen und stabil, kooperationsfähig, rücksichtsvoll, höflich und beherrscht. Geduldig bei Frustration, mutig und verträglich. Sie können auf ein Ziel hinarbeiten und eine Perspektive entwickeln. Sie verstehen Ironie und Paradoxien und denken jenseits von Schwarz und Weiß bzw Entweder-oder. Ein integratives Kind kann auf seine Mutter sauer sein ohne nach ihr zu schlagen. Es kann sich aufraffen, seine Hausaufgaben zu machen auch wenn es keine Lust dazu hat. Es kann mutig auf einen Baum
klettern, obwohl es davor eigentlich Angst hat.

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