Nicht nur wir Erwachsene leiden in unserem turbulenten Alltag zunehmend unter Stress. Unsere Kinder sind von Anfang an mit hineingenommen in unsere hektische, laute, termingesteuerte Zeit. Krippenkinder unterliegen dabei einer zusätzlichen Form von dauerhafter Überforderung...
Streicht alles, was ihr als eine Last empfindet oder was euch stresst! Denn wenn es euch stresst, dann stresst es auch eure Kinder. Also lasst es sein!
Jesper Juul
Lieselotte Ahnert weiß, wovon sie spricht: Bereits in den achtziger Jahren untersuchte die Entwicklungspsychologin, warum in der DDR so viele Krippenkinder erkrankten. Ihr damaliger Befund: Die Kleinen waren zu lange von ihren Müttern getrennt, sie konnten keine sichere Erstbindung aufbauen. Daraus ist Ahnerts Lebensthema entstanden: die Risiken und die Potentiale der familiären wie der institutionellen Fürsorge zu untersuchen und abzuwägen. Gute mütterergänzende Betreuungsformen sind ihr äußerst sympathisch, dennoch rät sie auch unsicheren Müttern keineswegs immer: Ab in die Krippe! mehr
Auch die beste KITA kann nicht verhindern, dass Kinder, die ganztags in einer KITA untergebracht werden, einen sie überfordernden Dauerstress erleben. Dauerstress wiederum, so zeigen sehr viele Studien, hemmt die Entwicklung des Gehirns und damit auch die Entwicklung wichtiger geistiger, emotionaler und sozialer Fähigkeiten.
Serge Sulz
Man muss deshalb damit rechnen, dass Eltern, die sich für eine KITA entscheiden, dazu beitragen, dass sich die Chancen ihres Kindes sich seinen genetisch mitgegebenen Begabungen gemäß zu entwickeln und zu entfalten, deutlich verringern.
Krippenkinder erleiden viele verschiedene Ängste: Verlassensangst, Angst vor Fremden und unbekannten Situationen, Angst vor dem Alleinsein, Angst aus Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit, Angst vor Ungewissheit, Angst schutzlos ausgeliefert zu sein...
Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget kam in seinen Experimenten zur Entwicklung kognitiver kindlicher Prozesse zu dem Schluss, dass Kinder erst in einem Alter von 2 Jahren eine Vorstellung davon entwickelt haben, dass Gegenstände und Personen weiterexistieren, auch wenn sie aus dem Sichtfeld des Kindes verschwunden sind. Auch wenn seine Ergebnisse heute teilweise umstritten sind, so liefern sie uns dennoch eine mögliche Erklärung für die große Traurigkeit der meisten Kinder, die von ihrer Mutter Abschied nehmen müssen: Sie erleben sich als verlassen und haben keine Sicherheit darüber, ob und wann die Mutter wiederkommt. Das Fehlen der Mutter wird zur lebensbedrohlichen Situation und bereitet dem kleinen Körper massiven Stress!
Babys haben kein Zeitgefühl, sie können noch nicht wissen, dass in einer Stunde oder in sechs Stunden ihre Mama wieder da ist. Sie sind so programmiert, dass sie sich in Todesgefahr wähnen, wenn ihre geliebte Bezugsperson sie verlässt.
Steve Biddulph
Vor Ausbildung des Vorstellungsgedächtnisses ist das innere Bild der Mutter sehr schwach, vergleichbar mit einer Strichzeichnung im Sand. Dieses Bild ist nur so lange sichtbar, wie kein Wind aufkommt- also nur für kurze Zeit. Aufregung und Müdigkeit lassen das Bild verschwinden. Deshalb muss das Kind sich immer wieder vergewissern, ob die Mutter da ist. Es dauert bis ins dritte Lebensjahr hinein, bis dieses innere Bild der Eltern fixiert ist. Darum ist auch eine Alltagsbetreuung in der eigenen Wohnung für unter Dreijährige, die sich schwer trennen können, jedem Fremdbetreuungsplatz vorzuziehen.
Christine Rankl
Es führt kein Weg um die Einsicht herum, dass die Mehrheit ganztagsbetreuter Krippenkinder, selbst wenn sie in schönen Räumen mit anregendem Spielzeug von engagierten Erziehern oder Erzieherinnen betreut wird, den Tag in ängstlicher Anspannung verbringt, dass sich dies bei einem Teil der Kinder in anhaltenden Verhaltensauffälligkeiten niederschlägt und dass mit dieser Form der Betreuung Risiken für die langfristige seelische und körperliche Gesundheit einhergehen.
Dr. Rainer Böhm
Es wurde bestätigt, dass in der Tat beim Kleinkind bei der akuten Abgabe in die Krippe bzw. Kita und Entfernung der Mutter nicht nur herzzerreißendes Weinen, sondern infolge dieser dramatischen Trennungserfahrung und dem Gefühl des Ausgeliefertseins Cortisolspiegel in erstaunlich hoher und Besorgnis erregender Konzentration vorliegen können.
Die am stärksten durch Cortisol betroffene Region des Gehirns ist der sogenannte Hippocampus, der auch vereinfacht als "Lernmaschine des Gehirns" zu bezeichnen ist...
Manfred Spreng
Selbst wenn alle Kinder einer Gruppe friedlich spielen, so ist der Geräuschpegel zu keiner Zeit mit dem aus dem häuslichen Umfeld zu vergleichen. Kinder sind nie leise. Hinzu kommen Ermahnungen und Erklärungen der Erzieher/innen, lautes Rufen und häufig auch Schreien und Weinen. Das ist sehr anstrengend und beeinflusst zudem auch die Sprachentwicklung: die eigentlich wichtigen Sprachreize und Anregungen können aus der geräuschvollen Umwelt nur unzulänglich oder gar nicht gefiltert werden. Im Ergebnis sprechen die Kinder sehr undeutlich und verwaschen oder wenig.
Ein Kleinkind benötigt vier bis fünf Stunden mehr Gesamtschlaf als ein Erwachsener, wobei diese vermehrten Schlafstunden auch tagsüber, z.T. in der Krippe, erfolgen müssen, um entsprechende Phasen von Langsamem-Wellen-Schlaf zu gewährleisten.
Jedoch weniger müde Kinder stören andere Kinder und in den Krippen herrscht häufig ein enormer Lärmpegel, der intern erzeugt, aber auch je nach Lage und Abschirmung von außen kommen kann und welcher zu Einschlaf- bzw. Durchschlafstörungen in der Krippenumgebung, sowei zur Verzögerung des Wiedereinschlafens führt.
Als Folge ist demgemäß eine verminderte Produktion von Wachstumshormonen zu erwarten mit bedenklichen Folgen für die körperliche Entwicklung und die Ausreifung des Gehirns.
Manfred Spreng
Nicht nur der permanente Lärm stört die Wahrnehmung: wechselnde Bezugspersonen, viele große unübersichtliche Räume, Beschäftigungsangebote, eine Fülle an Spielzeug, Tagesprogramme, ... belasten zusätzlich. Es gibt kaum Rückzugsmöglichkeiten, keinen Ort, den man als Kind für sich allein beanspruchen könnte, und keine Person, die die volle Aufmerksamkeit bietet, die das Kind so dringend bräuchte. Was den Kleinen abverlangt wird, ist enorm.
Ein weiterer Grund für Stressbelastung ist die Reizüberflutung. Kinder sind in den ersten zwei Jahren entwicklungsbedingt nicht in der Lage, sich mehrere Stunden auf viele Spielpartner und Aktionen einzustellen. Die sensomotorische Entwicklung benötigt ruhigen Raum, der vom Kind selbst gesteuert werden muss, damit sich alle Fähigkeiten ungestört entwicklen können. In der Krippe wird der Erkundungsdrang vom Kind nicht voll ausgelebt, wenn es sich nicht wohlfühlt oder zu wenig Raum zur Verfügung steht.
Neben dieser Überforderung kann die im zweiten Lebensjahr noch ungefilterte Reizoffenheit der Kinder zu einer Schwächung der Wahrnehmungskraft führen. Die Kinder können auf Grund des noch nicht voll ausgebildeten Ichbewusstseins der Reizflut nichts entgegensetzen, sie können sich also noch nicht davor schützen.
Dr. Erika Butzmann
Viele Eltern und Erzieher sind stolz, was die Kleinen in der Einrichtung lernen. Dabei wird ihnen ganz schön was abverlangt... ein Beispiel dazu: schon die 2-Jährigen werden mehrmals am Tag dazu angehalten, sich weitestgehend selbstständig an- und auszuziehen, was nicht immer ihrem inneren Antrieb und ihren Fähigkeiten entspricht. Kinder entwickeln sich individuell und lernen in ihrem eigenen Rhythmus. Wieviel Zeit bleibt der Erzieherin, liebevoll auf das langsame Kind zu warten und geduldig Hilfe zu leisten? Ist immer jemand zur Stelle, der dem Kind auf die Sprünge helfen kann?
Kleine Kinder erleben auch die Mahlzeiten als Entdecker und brauchen mitunter viel Zeit für das Selberessen. Wie läuft dieser Lernprozess in einer großen Gruppe ab?
Zum Programm besonders guter Krippen gehört es, Kleinstkinder vor eine Leinwand zu stellen und ihnen Pinsel und Farbe in die Hand zu geben. Sie lernen dabei wenig, weil die Aktion nicht vom Kind selbst ausgeht. Auf den Fotos und in Filmen darüber wirken die Kinder auch ziemlich lustlos.
Wenn allerdings das Kind eines Malers/einer Malerin zum Pinsel greift wie Mama oder Papa, ist es hochmotiviert und freudig dabei, jede Bewegung genauso wie Papa oder Mama auszuführen.
Dr. Erika Butzmann
Kinder im Krippenalter haben einen sehr individuellen Tagesrhythmus. Es gibt Kinder, die am liebsten noch zweimal am Tag schlafen würden, vor allem dann, wenn sie früh schon sehr zeitig geweckt werden. Ebenso verhält es sich mit den Essgewohnheiten und dem Hunger- bzw. Appetitgefühl. In der Gruppe kann auf derartige individuelle Bedürfnisse nicht eingegangen werden: es gibt einen festen Tagesablauf, in dem die Kinder funktionieren müssen. Für manch einen mag das eine hilfreiche Routine werden, für andere führt es zur kompletten Überforderung. Individuelle, kindliche Befindlichkeiten werden womöglich auf Dauer übergangen.
Die Kinder müssen mit Krippeneintritt ihren individuellen Lebens- und Bedürfnisrhythmus an die Einrichtungsverhältnisse sowie den Arbeitsrhythmus und die Sachzwänge der Eltern anpassen(...) Frühe Fremdbetreuung bedeutet Berufsalltag und -stress von der Wiege an.
Hanne K. Götze: "Kinder brauchen Mütter" s.94/95
Eine erste Studie zum Cortisol-Tagesprofil von Krippenkindern wurde Ende der 1990er Jahre durchgeführt. Die Ergebnisse (…) konnten zeigen, dass die Stressbelastung für ein ganztags betreutes Krippenkind durchschnittlich höher liegt als für einen erwerbstätigen Erwachsenen.
Dr. Rainer Böhm
Wenn hohe Cortisolwerte im Körper zurückbleiben, sind die Auswirkungen bedenklich. Das Immunsystem fährt herunter, weil der Körper vollständig in Alarmbereitschaft ist und durch das Bekämpfen von Infektionen keine Energie verschwenden will. Das Wachstum wird angehalten- es gibt schließlich keinen Grund, Knochen und Organe wachsen zu lassen, wenn man jeden Moment getötet werden könnte. Die Muskeln bleiben hart, die Atmung ist weder tief noch vollständig, der gesamte Mensch funktioniert nicht mehr richtig. Und da das Kind noch mitten in der Entwicklung steckt, können sich diese Veränderungen auch auf die sich gerade ausbildende Hirnstruktur auswirken.
Steve Biddulph